Wie auf der Behörde: Bei Edeka Oertwig an der Hamburger Straße muss man jetzt an der Fleischtheke eine Nummer ziehen

Zugegeben, das Warten ist nicht unbedingt meine Stärke. Vor allem dann nicht, wenn ich mich zu Unrecht stehen gelassen fühle. Kürzlich stand ich bei Edeka vor dem langen Tresen mit all den Köstlichkeiten vom indischen Mangokäse bis zum tiefrosafarbenen Roastbeef à point gebraten – und kam nicht dran. Weil mich keiner beachtete. Dabei wurden die, die später kamen als ich, bereits freundlich bedient. Irgendwann wagte ich den Vorstoß: „Ich warte aber schon länger als dieser Herr da…“ Da fragt die Verkäuferin spitz: „Wie heißt Ihre Nummer?“

Wie bitte? Was denn für eine Nummer? Langsam dämmert’s. Eine Nummer, die man ziehen muss, wie bei der Behörde, wenn man aufgerufen werden will. Aber hier? Bei Edeka an der Fleischtheke? Da fällt mein Blick auf ein hochbeiniges Gerät, das in der Laufzone vorm Tresen steht. Hatte ich total übersehen. Ich ziehe die 52, die gleich darauf grün an der gefliesten Wand aufleuchtet. Plötzlich erinnere ich mich, dass es in Weltstädten wie London und Paris und auch in ganz Amerika schon seit Jahrzehnten gang und gäbe ist, dass man sich vor dem Einkauf an der Frischetheke eine Nummer zieht. Weil es angesichts des dortigen Ansturms auch gar nicht anders möglich wäre, die Kunden nacheinander zu bedienen, ohne dass es zum Streit käme, wer eher da war.

Aber bei Edeka – in Henstedt-Ulzburg? Selbst in der Rush-Hour kann man sich nicht vorstellen, dass die Verkäuferinnen das erhöhte Kundenaufkommen nicht auf die übliche Weise one by one bewältigen würden. Aber darum gehe es ja gar nicht, meint Verkäuferin Sandra Müller, die auf die ausgelegten „Briefe an die Kunden“ zum besseren Verständnis verweist. „Es ist tatsächlich immer wieder zu Unstimmigkeiten gekommen, weil sich die Kunden sowohl rechts für Fleisch und Wurst anstellen als auch links für Käse. Jeder dachte, er sei jetzt dran. Das wollten wir vermeiden, weil es für uns wichtig ist, dass sich unsere Kunden wohl fühlen.“ Zuerst seien alle verblüfft gewesen, dass sie eine Nummer ziehen sollten. Aber inzwischen laufe alles ganz friedlich ab.

Das findet auch Sandra Antemann aus Henstedt-Ulzburg, die schon zum dritten Mal mit Nummer einkauft. „Ich finde es tatsächlich viel übersichtlicher. Und heute habe ich auch überhaupt nicht gewartet. Neulich dagegen schon.“

Trotzdem: Auf diese gravierende Neuerung sollte bereits im Eingangsbereich aufmerksam gemacht werden, weil die meisten Kunden, die noch nicht eingeweiht sind, ihren Blick als erstes auf die Auslagen in der Frischetheke richten. Erst wenn es ihnen so ergeht wie mir, weil sie auch nur in längeren Intervallen bei Edeka einkaufen, werden sie aufmerksam. Es ist eben alles Gewohnheitssache – und vielleicht tatsächlich ein Gewinn. Immerhin bittet Marktleiter Karsten Oertwig seine Kunden um eine kurze Mitteilung, wie sie dieses neue System empfinden. Mit dem Slogan “Wir testen, um für Sie besser zu werden!“

Gabriele David

8.11.2011

11 thoughts on "Wie auf der Behörde: Bei Edeka Oertwig an der Hamburger Straße muss man jetzt an der Fleischtheke eine Nummer ziehen"

  1. ich finde das gut das man eine nummer ziehn muss ich hatte am samstag morgen noch 6 kunden vor mir und ich habe mir dann noch seife und waschmittel eingepackt und hatte sogar noch zeit in der tk-truhe mir mein eis auszusuchen und schwups…die 56 bitte…und schon war ich dran…..einfach toll und wer sich da drüber beschwert mit dem nummern ziehn der versteht den sinn nicht man kann ja auch wie ich sich beim käse hin stellen und schon mal gucken was man möchte und wenn man dran ist wird man dort bedient ohne ständig an die fleischtheke zu laufen und dann wieder rüber und…mhh ich muss erstmal gucken und die anderen kunden rollen dann mit den augen weil es nicht so schnell voran geht weil die ja alle keine zeit haben…..LOB GANZ TOLL HERR OERTWIG 😀

  2. Offensichtlich besteht für viele Leute erheblicher Informationsbedarf
    über gewisse Hintergründe im (selbständigen) Einzelhandel.

    Schade, daß Veränderungen häufig zunächst eher negativ gesehen werden!

    Sind die gemachten Erfahrungen wirklich so katastrophal (vielleicht eher in Konzernfilialen, obwohl auch dort nach meiner Meinung im eigenen Interesse
    überwiegend versucht wird, Kunden zufrieden zu stellen)?

    Wenn mir etwas ungereimt vorkommt, versuche ich erst mal die „eventuell andere“ (Ironie) Perspektive des jeweils anderen mir vorzustellen.
    Häufig hilft mir das zu meiner eigenen Seelenhygiene schon erheblich weiter.

    Wie schon oben in einem Beitrag erwähnt, kann in unserer zunehmend sprachlosen Gesellschaft die Kommunikation miteinander sinnvoll sein…
    Augen bewußt auf übrigens auch was Hinweise, Bilder oder gar Geschriebenes
    betrifft.
    Ich finde überall Ansprechpartner (MitarbeiterInnen in Verkauf und Beratung, KassiererInnen, Bürotüren, an die man klopfen kann, um eventuelle Mißverständnisse zu klären. – Etwas Zeit, Ruhe und Gelassenheit zu investieren kann sich da lohnen.
    Wenn es nicht schon so viele Bücher gäbe, die nicht gelesen werden, und meine Hauptbeschäftigung nicht das Bücher-Empfehlen und Verkaufen wäre,
    könnte ich sicher eines mit klassischen MißverständnisErlebnissen aus beiden Perspektiven (Anbieter und Nachfrager) füllen, sicher viel Bedenkenswertes, Erstaunliches, Amüsantes, aber auch so manch‘ richtig Bitteres.
    Fazit: Versuchen wir doch, mehr Verständnis füreinander aufzubringen!
    Und im Übrigen: NOBODY is perfect ! – Bitte bloß auch nicht mich dafür halten!
    Der Böker-Höker Henning Rahmer

  3. Das ist ja mal eine Idee,das man anhand der gezogenen Nummer rekennt ob der Kunde Fleisch,Wurst oder Käse möchte. Bravo…
    Ist es nicht egal ob ich jetzt als Zweiter in der Schlange stehe oder die Zwei als Nummer gezogen habe?
    Bitte hier um Erklärung wo der Sinn dieser Nummern Vergabe ist(außer man kann sich gemütlich,wie beim Amt,solange Platz nehmen).

  4. Da lobe ich mir doch die ortsansässige Fleischerei, hier haben lediglich die Körbe eine Nummer und warten muß ich da auch nicht.

  5. Kann man das denn Herr Warnecke?
    Wen sollte ich da ansprechen und wo? Gibt es in dem Markt einen Anlaufpunkt für Meinungsäußerungen? Das ist mir noch nie aufgefallen. Glauben Sie mir, ich würde das gerne nutzen.

  6. Finde die Nr.Einrichtung Klasse.Vorher mußte man sich immer rechts, an der Fleischecke anstellen, auch wenn man nur Wurst oder Käsewaren haben wollte.
    Kann nur Prima sagen,Herr Oertwig!

  7. Frau Duncker, Herr Sommer – haben Sie das Gespräch mit der Filialleitung gesucht? Oder sich das Ganze mal vom Personal erläutern lassen?

    Zugegeben, man wundert sich und hinterfragt die Notwendigkeit. Aber ich denke, Herr Oertwig und sein Team wären über eine Form des unmittelbaren Feedbacks sehr dankbar gewesen…

  8. Da muss ich meinen beiden Vorkommentaristen leider Recht geben: jetzt muss man sogar darum bitten, bedient zu werden. Ich frage mich nur, wie all die Jahre Nowatzki hier im Ort zurecht gekommen ist…
    Auf der anderen Seite hat auch Frau David Recht – Amerika (wer sonst) und andere Länder machen es schon lange vor. Auch bei IKEA muss ich eine Nummer ziehen, wenn ich vom Service etwas möchte. ABER: dort warten durchschnittlich auch etwa 20 Leute bedient zu werden!

  9. Ich brauche regelmäßig Lebensmittel für meine Kurse und Seminare. Gestern bei Edeka an der Fleischtheke stellte ich mich hinten an (wie gewohnt) aber irgendwie ging es nicht voran. Dann sah ich das Schild Nummer ziehen.

    Fühlte mich auf Bittstellerniveau, wie in einer wilhelminischen Behörde, herabgesetzt.
    Ohne mich!
    Die Waren die ich bis dahin ausgesucht habe, stellte ich wieder zurück und bin ohne Einkäufe gegangen.
    Zum Glück gibt es genügend Alternativen in Henstedt-Ulzburg.

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