„Wie Oliver Lück Nachbarn in ganz Europa fand“

Die Galerie Sarafand an der Schultwiete platzte fast aus den Nähten, so viele Besucher waren zur Lesung des Journalisten und Fotografen Oliver Lück gekommen. Und sie sollten es nicht bereuen: Die vom Autor selbst vorgetragenen Geschichten aus seinem eben erschienenen Buch „Neues vom Nachbarn“ waren ebenso aufschlussreich wie amüsant und unterhaltsam. Es sind 26 mehr oder weniger lange Novellen aus 26 Ländern, die immer auch eine Hommage an die Menschen sind, die ihm unterwegs begegnet sind.

Oliver Lück strahlt schon auf den ersten Blick etwas Abenteuerliches aus, offen und unerschrocken – eben wie einer, der sich traut, mit einem schon betagten VW-Bulli auf eine unbestimmte Reise von 50.000 Kilometern zu gehen. Ganz ohne Navigationsgerät, dafür aber mit einem zweieinhalb Kilo schweren Atlas von 1.400 Seiten – für seinen Besitzer unersetzlich. Drei Blechschäden, eine Reifenpanne, unzählige gefüllte Wodkagläser und ganz viel Leben dazwischen hinderten ihn nicht, nach 600 Tagen wieder in Henstedt-Ulzburg aufzutauchen. Hellwacher Begleiter und Beschützer: Locke, seine vierjährige Hovawart-Hündin, die bereits als Welpe zu ihm kam, im Bus aufwuchs und sich auch während der Lesung souverän und dazugehörig gab.

„Ein Buch braucht immer einen starken ersten Satz“ hatte ihm Marek aus Danzig erklärt, ein wahrer Kneipen-Philosoph. Und das war er auch schon: sein erster Satz! Dass Oliver Lück überhaupt ein Buch aus seinen Erlebnissen machen würde, wurde ihm erst während seiner Reise bewusst – angesichts der vielen „menschlichen Kostbarkeiten“, die ihm der Zufall entgegen wehte.

Das Buch liest sich so süffig wie ein kühler Wein auf der Terrasse und führt den Leser gleichzeitig in die entlegensten Orte Europas, macht ihn bekannt mit außergewöhnlichen Persönlichkeiten, beeindruckenden Lebensphilosophien, in denen Reichtum und Prestige nichts zu suchen haben. Und es erzählt von bedrohlich-amüsanten Zusammenstößen mit der Polizei des jeweiligen Landes. Vor allem dann, wenn es um zu schnelles Fahren ging. Da wurde schamlos um die Höhe der zu schnell gefahrenen Kilometer gefeilscht, bis sie von 9o auf 10 schrumpften. Ein Unfall mit einem Motorradfahrer in der Slowakei ließ sich zum Glück mit einer Flasche Wein und Geld für den zerbrochenen Rückspiegel regeln.

Plötzlich hieß es „Lost in Litauen“ – die Straßen wurden schlechter, die Umgebung grauer und farbloser.  Die einzige asphaltierte Straße hatten die Einwohner „10 Minuten Amerika“ genannt. Da lernt man das Autofahren der besonderen Art. Wie sagte Lück es am Ende so treffend: „Zurück in Deutschland auf der Autobahn geht es nur noch ums Überleben, mit hupenden, keifenden Monstern bei 80 km/h. Alle Autofahrer sind entspannter als die deutschen!“

Immer wieder sind es gute Gesichter, in denen sich trotz des kargen Lebens eine tiefe innere Zufriedenheit widerspiegelt. Physiognomien, die jedes Malerherz höher schlagen lassen. Und da ist Biruta aus Lettland, die Frau vom Strand, die die zahlreichen Liebesbotschaften der Flaschenpost sammelt und angespültes Strandgut zu kleinen bunten  Kunstwerken in ihrem Garten verarbeitet. „Der Wind, eine Frau und das Meer – ein stilles Leben in Farbe“.

Wenn Maria in Nordostspanien „auf Weltreise geht“, setzt sie sich an ihren alten Schreibtisch am Wegesrand. Denn hier, am Jakobsweg,  kommen alle Nationalitäten vorbei. Es sind Tausende von Pilgern.  Und sie drückt ihnen ihren Stempel in die Pässe, wenn sie weiter nach Santiago de Compostela  ziehen – in der Hoffnung, dass sich ein Lebensentwurf  ändert oder ein Herzenswunsch erfüllt. Der Weg ist das Ziel, und Maria begleitet sie alle – in ihren Gedanken. Sie ist der „Engel am Wegesrand“.

Diese Geschichten machen schon deshalb süchtig, weil der Autor es versteht, immer den richtigen Ton zu treffen, der den Leser sofort  mit hineinnimmt in das Erlebte. Dabei ist Oliver Lück selbst überrascht von der Begeisterung seiner applaudierenden Zuschauer. Schließlich sei es für ihn doch eine Premiere gewesen, vor Leuten zu lesen. Und an diesem Abend so viele seiner Bücher zu verkaufen und zu signieren! Zu dieser ganz besonderen Atmosphäre beigetragen hat nicht zuletzt auch das Ambiente der Galerie Sarafand, das jedem Künstler gerecht wird bei– auch einem Künstler der deutschen Sprache, diesem atemberaubenden Geschichtenerzähler, der Appetit auf immer mehr macht.

Sein Buch „Neues vom Nachbarn –  26 Länder, 26 Menschen“ ist im Rowohlt-Verlag erschienen, hat 317 Seiten und kostet 9,99 Euro.

Gabriele David

12.05.2012

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