Der Name Schefe bürgt in Henstedt-Ulzburg für Qualität. Deshalb waren wohl auch alle Plätze in der Galerie Sarafand besetzt, als es diesmal um die Autorenlesung von Karen F. Schefe ging, die ihre tiefsinnigen Gedichte einem Publikum vortrug, das anfangs noch nicht so ganz verstand, was es zu erwarten hatte. Das änderte sich schlagartig, als die Autorin im Brustton der Überzeugung aussprach, was viele Menschen immer wieder empfinden. „Ich finde, wenn man hier durch die Tür kommt, ist man sofort in einer anderen Welt.“ Und in die nahm sie ihre Zuhörer mit, als sie mit bühnenreifer, voluminöser Stimme zu ihrem ersten Gedicht anhob.
Ihre Betrachtungen sind vorwiegend von ihrer Terrasse im 5. Stockwerk über Berlin-Kreuzberg inspiriert, „denn ich wohne hier im Himmel“. Deshalb widmet sie viele ihrer Gedichte auch den Spatzen, deren freches, egoistisches Gehabe sie geschickt auf den Menschen überträgt – mit echten Reimen und sauberem Versfuß. Was den spitzhumorigen Inhalt noch veredelt. Und die Kunst, in wenigen Zeilen eine komplette Geschichte zu erzählen – Punkt – ließ die oft verblüfften Zuhörer erst staunen, dann verständnisvoll lächeln: Es war ja alles gesagt! Obwohl man eigentlich jedes Gedicht gern in doppelter oder dreifacher Länge gehört hätte. Aber wäre es dadurch besser geworden? Nein. Denn es folgten ja weitere Verse, ein bunter Querschnitt durch einen lebendigen Alltag – mal länger, mal noch kürzer. Und wie wenige Schreiber beherrschen diese Kunst? Hier stimmt der oft bemühte Spruch „In der Kürze liegt die Würze.“
Wer genau hinhört, der spürt, wie viel Herzblut, inneres Erleben und fantasievolles Hineininterpretieren in Geschehnisse ihren knappen Gedichten vorausgeht, mit wie viel Gefühl Karen Schefe die Dinge des Lebens sieht, die alltäglichen Geheimnisse entschlüsselt, selbstironisch die eigene (vermeintliche) Unzulänglichkeit unter die Lupe nimmt, um dennoch verbal hier und da eine charmante Selbstreinigung vorzunehmen. Nicht wenige im Publikum starrten fasziniert und fassungslos zugleich auf diese Zauberin des Wortes, die da trotz ihrer beeindruckenden Erscheinung bescheiden zu fragen schien: Gefällt euch das überhaupt, was ich da erzähle? Jeder begeisterte Applaus hätte sie überzeugen müssen. Und dennoch freute sie sich in der Pause fast mädchenhaft schüchtern über die hemmungslosen Sympathiekundgebungen ihres Publikums.
Nach der Pause gab Karen Schefe auch einen Einblick in ihre aktuelle Tätigkeit (nach 20-jähriger Arbeit als Sozialpädagogin für Menschen mit geistiger Behinderung) als Verfasserin von Trauerreden, die sich natürlich ganz und gar von denen unterscheiden, die man kennt. Dank ihrer grenzenlosen Freude am Schreiben von Tagebüchern und Briefen seit ihrer Kindheit lässt sie in ihren Reden am Grab den Verstorbenen wieder lebendig werden, zeichnet den Angehörigen ein ebenso vertrautes wie unbekanntes Wesen auf, für das man ihr dankbar ist. Karen Schefe ist eine Ausnahmefrau, eine Autorin der besonderen Art, die viel mehr Aufmerksamkeit verdient als sie bisher zugelassen hat.
Begleitet und harmonisch aufeinander abgestimmt wurde sie von dem Gitarristen Peer G. Knacke (im richtigen Leben Anästhesist und Notfallmediziner), dessen Leidenschaft für sein Instrument sich schon darin ausdrückt, dass er nicht nur vier verschiedene Exemplare mitbrachte, sondern auch verriet, dass er gleich morgens nach dem Aufstehen zu seiner Gitarre greift, bevor er sich mit seinem Fahrrad durch Ostholstein zu seinem 17 Kilometer entfernten Rettungshubschrauber-Dienst begibt. Dass er alles ohne eine einzige Note lesen zu können, meisterhaft zu intonieren versteht, passte zu dem außergewöhnlichen Vortrag von Wort und Musik. Als er „Here comes the Sun“ und „Blue Moon“ spielte, meinte der Arzt lächelnd: „Das hätte ich gern selbst geschrieben, schade. Aber dann säße ich wohl jetzt nicht hier …“
Am Ende wollten sich die begeisterten Zuhörer gar nicht trennen, so gefangen waren sie noch von dem eben Erlebten – verbal und musikalisch. Nur gut, das Karin Schefe genügend Bücher zum Signieren mitgebracht hatte, die sie mit einer ganz persönlichen Widmung noch aufwertete. Und schade, dass es von Peer G. Knacke noch keine CD gibt. Der aparte Gedichtband, der sich auch wunderbar als exklusives Geschenk eignet, ist unter dem Titel „Rausdürfen und Spielengehen“ von Karen F. Schefe erschienen und für 13 Euro in der Galerie Sarafand bei Angelika Dubber, Telefon 04193/6343, zu haben.
Gabriele David