Die Kinder hatten ihre Klassenräume noch gar nicht betreten, da nahm einer den Mund schon einmal ziemlich voll: „Wir sind sehr zufrieden, nicht nur mit der schönen Architektur, sondern auch mit dem großen praktischen Nutzwert“, freute sich Ex-Bürgermeister Volker Dornquast 2008 bei der Einweihung der „Lütten School“ in Ulzburg-Süd.
Mittlerweile ist klar: Dornquast hätte sich mit seinen Lobeshymnen vor fünf Jahren wohl besser zurückgehalten. Bauamtsleiter Jörn Mohr hatte jedenfalls in der jüngsten Sitzung des Umwelt-und Planungsausschusses Horror-News aus der Grundschule mitgebracht. Der Verwaltungsmann zu Henstedt-Ulzburgs Kommunalpolitikern: Wegen zu geringer Luftfeuchtigkeit komme es in der kalten Jahreszeit bei Lehrern und Schülern zu Kopfschmerzen, Nasenbluten und Husten. Auch die „Haut platzt auf“.
Trotzdem weigere sich der Betreiber der Schule, beim Raumklima nachzubessern und für bessere Luft zu sorgen. Deswegen wolle die Verwaltung nun auf eigene Kosten Luftbefeuchtungsgeräte für 5.000 Euro beschaffen.
Dazu muss man wissen: Die Schule wurde im Rahmen eines Public Private Partnership-Modells (PPP) in Passivbauweise von der Achimer Firma Wiebe erstellt, die mit der Gemeinde auch einen Dienstleistungsvertrag über die nächsten 25 jahre abgeschlossen hat. Danach ist Wiebe während dieser Zeit für die Instandhaltung des Schulgebäudes und für sämtliche Reparaturen zuständig.
Ausgerechnet die Regulierung der Luftfeuchtigkeit soll im Servicevertrag für das sensible Passivhaus allerdings nicht eindeutig geregelt sein, weswegen es schwierig sei, sich das Geld von der Firma zurückzuholen, sagte Mohr. Davon abgesehen, sei er aber grundsätzlich mit der Firma Wiebe sehr zufrieden. Das sahen die Ausschussmitglieder allerdings ein bisschen anders – sowohl was die Verantwortung für die Luftqualität als auch den Passivhaus-Deal an sich angeht.
So forderte der Ausschussvorsitzender Horst Ostwald (SPD), die Kosten für die Luftbefeuchtungsgeräte umgehend von Wiebe einzufordern. Außerdem müsse die grundsätzliche Frage nach der Qualität des Passivhauses gestellt werden. Uwe Köhlmann-Thater (WHU) pflichtete Ostwald bei, sprach von einem grundsätzlichen Baumangel. Und Jens Iversen (BFB) sagte, es gebe doch anerkannte Regeln der Technik, nach denen die Luftfeuchtigkeit nicht bei 30 Prozent, sondern bei 40 bis 50 Prozent liegen müsse. Die Gemeinde solle deswegen einfach die Miete für die Schule kürzen. Sein zusammenfassendes Urteil zum Grundschulpassivhaus: „Das Ding ist qualitativ mies.“
Kurt Göttsch (WHU) wunderte sich ebenfalls über die Ausführungen Mohrs, es gebe doch anerkannte Regeln der Baukunst. Seine Empfehlung: „Den Rechtsweg zu beschreiten.“
Mohr riet allerdings von der Einbehaltung der Miete sowie von rechtlichen Schritten ab und erklärte, er würde eine einvernehmliche Lösung vorziehen. Schließlich sei der Sinn eines PPP-Modells doch, dass man versuche, partnerschaftlich miteinander umzugehen. Dafür gab es einerseits Unterstützung von FDP-Vertreter Stephan Holowaty, zum anderen eine heftige Gegenrede von Jens Iversen: „Unser Partner geht nicht partnerschaftlich mit uns um. Wir wissen seit Jahren, dass wir über den Tisch gezogen worden sind. Ich würde es darauf ankommen lassen.“
Beschlossen wurde am Ende, die Luftbefeuchtungsgeräte auf eigene Kosten zu beschaffen, mit der Aufforderung an Mohr, das Geld bei Wiebe einzutreiben – wie auch immer.
Christian Meeder
2. Dezember 2013
Unsere Tochter ging 2 Jahre in diese Schule und hatte nie Probleme gehabt. Im Gegenteil. Das Raumklima empfand sie und auch wir als angenehm.
Herr Meierdierks, ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Kinder kein Problem mit der trockenen Luft hatt, aber es muss akzeptiert werden, dass es sensiblere und vorbelastete (Bronchialprobleme) Kinder gibt. Darauf muss Rücksicht genommen werden.
Neurodermitis-Kinder nicht zu vergessen.
Das ist eigentlich ganz einfach, es fehlt in der Lüftungsanlage ein Luftbefeuchter, der insbesondere bei trockener Winterluft die Luftfeuchtigkeit auf mindestens 50% hält. Warum ist der nicht vorhanden? Für Kindergärten und Grundschulen gelten ohnehin besondere Anforderungen. Die Planer, insbesondere die HKL-Experten (Heizung, Klima, Lüftung) haben versagt oder man wollte Kosten in der Investition, Betrieb und Wartung zu Gunsten einer positiven Kostenbilanzierung für das Passivhaus im Verhältnis zur konventionellen Bauweise einsparen. Man sollte zumindest versuchen, den Rechtsweg (Planungsfehler) zu beschreiten.
Die transportablen Luftbefeuchter können bei unzureichender Wartung schnell zu Bakterienschleudern werden, dass die Krankheitsrate steigt.
Es stellt sich doch die Frage, was den in einer Ausschreibung gefordert war. Man kan nicht gleich sagen, dass das ein Fehler der Planung ist. Lüftungstechnik ist ein komplexes Thema. Wird über die Lüftungsanlage nur gelüftet, oder auch gewärmt.
Gibt es weitere Anforderungen. Bei Schulen besteht häufig die Aufgabe einer Lüftungsanlage einen geringen CO2-Wert zu erreichen. Dadurch wird eine hohe Luftwechselrate erzeugt, was zu einer Reduzierung der Luftfeuchtigkeit führt.
Herr Ulrich, der Ausschreibung geht die P la n u n g voran. Für die Schule ist ein Passivhausstandard geplant und gebaut worden. Um die energetischen Lüftungsverluste zu reduzieren, musste natürlich ein Wärmetauscher geplant und eingebaut werden.Und nun bringen Sie genau das zum Ausdruck, was die Planer vergessen haben: Co² Reduktion in Verbindung mit einer hohen Luftwechselrate führt zu einer Reduzierung der Luftfeuchtigkeit.
Herr Borchert. Wer sagt, dass ein Wärmetauscher nicht geplant bzw. nicht eingebaut wurde.
Bereits vor 5 Jahren wurden Lüftungsanlagen mit Wärmetauscher standardmäßig eingebaut. Sonst hätte die Firma die Anforderungen an den Wärmeschutz oder dergleichen erreicht.
Herr Ulrich, jetzt fällt es mir aber nicht mehr leicht, Sie zu verstehen. Ich habe doch ausgeführt, dass eine Wärmetauscher geplant und eingebaut wurde. Das ist bei einer Passivhausbauweise Standard. Übrigens werden Wärmetauscher in Bürokomplexen seit mindestens 30 Jahren eingebaut.
Und die Frage ist doch – falls die Ausschreibung diesen Befeuchter nicht ausdrücklich fordert – warum Fa. Wiebe als Gewinner dann nicht darauf hinweist, sollte dieser Befeuchter eher normale Ausstattung als exklusiver Luxus sein. Da würde ich im Rahmen einer Komplett-Lösung wie hier auch Sorgfaltspflichten sehen, die dann wohl nicht erfüllt worden sind. Klar, die könnten sicherlich daraus aus gewesen sein, kein Risiko für ihren Ausschreibungsgewinn zu produzieren. Der Hinweis „Befeuchter fehlt“ würde ja vermutlich zu einer Wiederholung der Ausschreibung oder einer Ergänzungsausschreibung o.ä. führen.
Im privatwirtschaftlichen Sektor begegnen einem meist Formulieren in Leistungsbeschreibungen und Verträgen, die darauf hinwirken, daß man sich nicht allein auf konkrete Formulieren zurückziehen kann, sondern die Inkludierung ggf. implizit hergeleitet werden kann. Da steht also oft was vom generellen Projektzweck drin und von der Pflicht der Parteien, dieses Ziel bestmöglich und im Rahmen des technologisch aktuellen Stands zu fördern und umzusetzen.
Würde dann in einer konkreten Bauteil-Liste der Befeuchter fehlen, sich später aber herausstellen, dass ein solcher praktisch immer eingebaut wird (technischer Stand) oder hätte eingebaut werden müssen, weil das übergeordnete Projektziel sonst nicht erreicht werden kann (hier etwa der Zweck, dass die Schüler eine lernförderliche Atmosphäre bekommen, die Richtlinien beim Arbeitsschutz -auch Stand der Technik- und das das Ganze ohne externen Energieeinsatz bewerkstelligt werden soll -Passivhaus eben-), so kann eine rechtliche Überprüfung ergeben: Ist mitbezahlt, weil der Fachbetrieb hätte wissen müssen, dass es ohne gar nicht funktionieren kann.
Würde man diesen gemeinsam zu verfolgenden Projektzweck erst konstruieren müssen, weil er nicht im Vertrag formuliert ist, könnten aber die Gutachter teurer werden als der Selbstbehelf, wie ich an anderer Stelle schon erleben durfte. Hoffentlich wurden der Fa. Wiebe diese „Handschellen“ vorsorglich angelegt…
Herr Schneider, im PPP-Verfahren gibt es keine klassische Ausschreibung, die nach X-Fachgewerken getrennt ist, sondern eine grundsätzliche Leistungsbeschreibung / Anforderungskatalog, ähnlich wie bei einem Generalunternehmer-Angebot. Bei einer klassischen Ausschreibung für eine Schule gibt es ca. 40 Fachgewerke (Papierberg von 1m Dicke), deren Leistungen in Leistungsverzeichnissen mit hunderten detailliert beschriebenen Leistungspositionen erfasst sind. Bei PPP-und Generalunternehmerangeboten schrumpft das Beschreibungspaket stark zusammen. Dann beginnt die Arbeit des Prüfers, ob alles enthalten ist, was man haben will. Man muss daher immer den PPP-Unternehmer oder Generalunternehmer rechtlich an die Bedingungen der klassischen Ausschreibung binden. Wenn die Gemeinde nicht klassisch ausgeschrieben haben sollte, hat sie eigentlich gar keinen realistischen Vergleich zu den unterschiedlichen Vergaben. Da wäre ein interessantes Betätigungsfeld für einen erfahrenen Rechnungsprüfer……
Wenn ich die Sache richtig einschätzte, dürfte die Lütte School in 2007/2008 nach den damals gültigen Standards errichtet worden sein. Soweit sich daran gehalten und auch nicht „gepfuscht“ wurde, wird die Gemeinde die Anschaffungs- und Unterhaltungskosten für die Luftbefeuchter leider tragen müssen.
Dass nun die Passivbauweise ihre Tücken hat, muss den Fachleuten und auch den entscheidenden Gremien schon damals bekannt gewesen, und bei der Entscheidung für die Bauweise der Lütten School billigend mit in Kauf genommen worden sein.
(Exkurs:
Betrachtet man das Baugeschehen, so fällt auf, dass das Energiesparen in den letzten Jahrzehnten zum eigentlichen Hauptziel des Bauens und Sanierens geworden ist. Dabei wird das Passivhaus fast schon fetischartig bewundert.
Korrekterweise wären beim Hausbau aber aus baufachlicher Sicht, nebst einem geringen Energieverbrauch, noch folgende elementaren Faktoren zu betrachten: Brandschutz, Schallschutz, Wetterschutz, sommerlicher Wärmeschutz, Schutz der Gesundheit, Dauerhaftigkeit der Gebäudehülle, Werterhaltung des investierten Kapitals, etc.)
Ja, wir hatten beim Hausbau (2010/11) auch erst gedacht, man sollte hier gleich richtig klotzen. Aber da hängt man sich dann eine Menge teurer Haustechnik um den Hals, die kaum solange durchhält, wie das Haus ja existieren soll und eine Menge Wartungsaufwand „verheisst“. Ich sah schon permanent Handwerker ein- und ausgehen, die teure Rechnungen dalassen… Und dann wären schon die Investitionskosten für Wärmepumpe oder Belüftungsanlage kaum wieder reingekommen, also hätte man glatt eine Art „Ökohobby“ betrieben, aber haus-betriebswirtschaftlich Minus gemacht. Nun haben wir ein extrem gedämmtes Haus mit sehr guten Raumklima, aber nur auf KfW85-Standard. Lüften tun wir in der althergebrachten empfohlenen Weise: Stoßlüften. 5-10 Minuten Fenster weit auf, dann wieder ganz zu. Niemals auf Kipp. Heizkosten OK, Raumklima sehr gut. Und keine Angst vor Schimmel in den Rohren und Filtern einer Belüftungsanlage. Bei den Pionieren dieser Technik (mit Wärmeaustausch Alt- gegen Neuluft) bhört man immer mehr von genau dieser Problematik. Die bezahlen nun schon erste Handwerker für das Reinigen der Rohrleitungen, und verbrennen so wieder die Ersparnis, die nach dem Invest ggf. noch erwirtschaftet worden wäre…
Es ist wohl wie beim Auto: Die Nobelmarke ist zwar schicker, aber die Fahrt von A nach B geht auch ohne Statuskomponente und wesentlich wirtschaftlicher.
Erstaunlich, dieses Problem ist bislang noch nicht bis zu mir vorgedrungen, obwohl meine Kinder diese Schule besuchen/besucht haben.
Unabhängig davon, ist es immer wieder verwunderlich, wie schnell heutzutage Neubauten bezogen werden können. Nach dem Motto: die Farbe ist noch nicht ganz trocken, aber wir haben schon mal die Möbel reingestellt…