Manche Dinge brauchen etwas Zeit bevor sie ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Im sogenannten „Naturparadies Siebenstücken“ sind im vergangenen Herbst fünf Robustrinder verendet. Der Grund: Die Viecher haben mutmaßlich Straßenbrühe getrunken, die dort in die Grünanlage geleitet wird. Landwirt Cai-Henning Schröder, dem die Angus-Herde gehört: „Das ist ziemlich doof gelaufen. Das Wasser ist wegen der starken Regenfälle vom Regenüberlaufbecken bis auf die Koppel geflossen. Ich vermute, dass sie davon getrunken haben, beweisen kann ich das nicht.“ Die Umweltpolizei sei zu spät am Tatort gewesen, so der Landwirt. Schröder: „Der Sturm war auf einen Mittwoch, dann haben wir Donnerstag das Unglück gesehen und die ersten drei toten Tiere da weggeholt. Am nächsten Tag waren die nächsten zwei tot. Die Umweltpolizei war aber erst am Montag vor Ort, da war schon alles weggespült.“
Was passiert da für ein Umweltfrevel im Norden der Gemeinde?
Von den Gewerbeflächen und vom Autobahnzubringer wird der Straßendreck (Auftausalz, Reifenabrieb, Schmierstoffe) in ein Gewässer im „Naturraum Siebenstücken“ geleitet. Dort sollen sich die Giftstoffe absetzen und alle 10 Jahre raus gebaggert werden. Der Teich ist abgezäunt, damit die Rinder nicht an das Wasser kommen. Nun sind die Kühe wegen starker Regenfälle doch an das Wasser gelangt – die Brühe ist über das Ufer getreten und unter dem Zaun hindurch auf die Weide gelaufen. Sehr zur Freude der Rinder – denn die stehen von Hause aus eher auf süffiges Brackwasser, konnten aber nicht ahnen, dass das in diesem Fall toxisch ist.
Bauer Schröder: „Die Tiere haben eigentlich überall auf der Koppel ihre Tränken, die sind jetzt im Winter auch beheizt. Das sind Tiefbrunnen, die die Gemeinde hat bohren lassen. Aber die Tiere trinken lieber abgestandenes Wasser: Wenn sie denen eine Badewanne hinstellen, neben einer Tränke mit frischem Wasser, entscheiden sich die Rinder für das Wasser in der Badewanne.“
Der Irrsinn an der Geschichte: die Rindviecher sind vor Ort, um Lebensraum für Vogelarten wir den Kiebitz zu schaffen, gleichzeitig werden in die Ökofläche aber Abwässer eingeleitet. Und während versucht wird, die Rinder mittels Zaun vor dem Dreckwasser zu schützen, haben die Wildvögel, um die es dort eigentlich geht, ungehindert Zugang zum Abwasser. WHU-Umweltpolitikern Verena Grützbach: „Vögel können ja bekanntlich über Zäune fliegen, eine Nahrungskette beginnt zudem bei den Wasserlebewesen. Alles was sich von diesem Wasser in irgendeiner Form ernährt oder daraus trinkt, ist Nahrung für andere Tiere, die dort doch gerade geschützt werden sollen.“
Grützbach, die auch zweite Bürgervorsteherin ist, hat vergangene Woche im Ratssaal beantragt, dass zukünftig nicht noch mehr Schmutzwasser in das Naturland geleitet wird, sondern das Oberflächenwasser bereits auf dem Areal des geplanten Rewe-Logistikzentrums und anderen zukünftigen Gewerbeflächen vorgereinigt werden muss. Der Antrag wurde von CDU und SPD abgelehnt. Grützbach: Wenn wir die Kiebitze ansiedeln wollen, wenn wir Greifvögel schützen wollen , dann können wir doch nicht weiter ungeklärtes Schmutzwasser in ein Gebiet einleiten, wo jetzt schon die Rinder sterben.“
Die Kiebitz-Umsiedlungsaktion mithilfe der Robustrinder läuft übrigens bereits seit fünf Jahren – ohne Erfolg. Die Rathausführung hat für das Scheitern bisher Reineke Fuchs oder Rabenvögel verantwortlich gemacht – die würden, so das Rathaus, jeden Frühling die Kiebitzbrut auffressen. Angesichts der Straßenbrühe, die laufend ins Kiebitzparadies geleitet wird, liegt es aber nahe, dass der taubengroße Vogel einfach nicht robust genug für den Gifteintrag ist.
Wie geht es jetzt weiter mit der verkorksten Kiebitzrettungsaktion?
Die Verwaltung, die schon seit dem Herbst von den toten Rindern weiß, hat jetzt noch einmal zwei Wochen Zeit, um über eine Vorreinigung der Straßenbrühe nachzudenken – das gilt auch für CDU und SPD. In 14 Tagen soll der Satzungsbeschluss für das Rewe-Logistikzentrum gefasst werden, ein Riesenrohr für das Schmutzwasser ist bereits unter den Autobahnzubringer hindurchgepresst worden. Verena Grützbach: „Die Gemeindevertreter können sich noch besinnen und können sagen: solange dieser unhaltbare Zustand nicht verändert wird, geben wir kein grünes Licht.“
Christian Meeder
6. März 2018