„Rewe-Bürgerentscheid kann kommen – Amt glaubt aber: Bauer und Co. hecken noch was aus“ hieß es am Dienstag bei den Henstedt-Ulzburger Nachrichten. Seit Donnerstag Abend ist klar: Der Amtmann hatte Recht. Die Mehrheit der Ortsentscheider kündigte an, die Kreisaufsichtsbehörde vor Gericht bringen zu wollen, sollte die nicht ihre Zulässigkeitserklärung zurückziehen.
Bis zum gestrigen Freitag hatte die Behörde der Gemeinde die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme abzugeben, am Donnerstag beschlossen CDU, SPD und FDP quasi in letzter Sekunde ein 12-seitiges Schreiben an das Amt zu schicken, das dort am Freitag auch eingegangen ist. Darin sind verschiedene Gründe aufgeführt, warum der Bürgerentscheid nicht rechtens sei und warum die Behörde ihre Meinung ändern soll. Tut sie es nicht, werden weitere rechtliche Schritte angekündigt. Im Beschluss heißt es: „Sofern die Kommunalaufsichtsbehörde dennoch zu keinem anderen Ergebnis kommt, wird die Verwaltung beauftragt, gegen diese Entscheidung zur Zulässigkeit des Bürgerbegehrens Rechtsbehelf einzulegen. Hiermit ist die Rechtsanwaltskanzlei Lenz und Johlen, Köln, zu beauftragten.“
CDU, SPD und FDP wollen den Bürgerentscheid im Zweifel vor Gericht zu Fall bringen, das sorgte nicht nur bei WHU-Vertretern für Empörung, auch Rewe-Befürworter wie Carsten Schäfer reagierten entsetzt. Schäfer nannte die einberufene Sondersitzung eine Katastrophe und erinnerte an die Bemühungen den Kindergarten-Bürgerentscheid in ähnlicher Weise zu verhindern. „Das ist in die Hose gegangen“, warnte der BFB-Gemeinderat. Schäfer war über das Vorgehen so sauer, dass er zusammen mit WHU und BFB-Abgeordneten vor der Abstimmung den Saal verließ.
Welche rechtlichen Gründe gegen das Bürgerbegehren sprechen, das spielte in der Sitzung keine Rolle. Kaum ein Abgeordneter hatte das Papier, das eine Anwaltskanzlei ausgearbeitet hatte, gelesen, geschweige denn durchdrungen. Auf dem Bild oben ist zu sehen, wie Bürgervorsteher Dietmar Kahle (CDU) versucht, die wesentlichen Inhalte des Kanzlei-Textes zu erfassen. Kahle, der voll berufstätig ist, hatte vor der Sitzung offenbar wie viele andere keine Gelegenheit zum Textstudium gehabt – erst am Nachmittag war das Schriftstück in den Email-Postfächern der Politiker gelandet. Was drin steht, war allerdings in Wahrheit auch nebensächlich. In erster Linie ging es für die drei Fraktionen darum, rechtzeitig vor dem Ende der Bürgerbegehren-Anhörungsfrist am Freitag, aktiv zu werden. Nur dadurch bleibt die Möglichkeit für die REWE-Fans erhalten, den Gerichtsgang zu bestreiten.
Die Traditionsparteien wollen den Rewe- Bürgerentscheid unbedingt verhindern – was sind die Gründe?
„Fürchtet Euch nicht vor einem Bürgerentscheid“ hatte Wirtschaftsminister Bernd Buchholz den Rewe-Fans in der vergangenen Woche zugerufen. Die Angst ist aber nicht verflogen, zu stark ist bei den Traditionsparteien die Erinnerung an das eigene Fiasko beim Pinnauwiesen-Bürgerentscheid. Die etablierten Parteien hatten den damaligen Unmut vollkommen unterschätzt, wollen das Risikio einer erneuten Pleite nicht eingehen. Hinzu kommt: CDU und SPD sind überzeugt davon, am besten zu wissen, was gut und richtig für die Gemeinde ist. Sven Oldag, CDU-Fraktionschef, bezeichnete die Initiative Ortsentwickung als eine kleine Gruppe mit zweifelhaften Argumenten, nachdem er zuvor den CDU-Willen für Henstedt-Ulzburg in den Ratssaal gerufen hatte. Ziel der Partei sei, „dass es den Menschen hier gutgeht, das ist unser Auftrag“, sagte Oldag.
Entlarvend äußerte sich SPD-Fraktionschef Horst Ostwald. Als er auf das aktuelle SPD-Verhalten im Vergleich zum seinerzeitigen Verhalten beim Kindergarten-Bürgerbegehren angesprochen wurde, machte der Sozialdemokrat klar, dass das SPD-Vorgehen gegen den Rewe-Bürgerentscheid weniger mit rechtlichen Bedenken, sondern eher damit zu tun hat, dass die SPD mit allen Mitteln das Logistikzentrum nach Henstedt-Ulzburg holen möchte. „Die SPD hat kein pauschales Verfahren, wie sie mit Bürgerbegehren umgeht“, sagte Ostwald. Und weiter: „Das hängt vom Inhalt ab.“ Vor wenigen Wochen hatte Ostwald noch das Gegenteil behauptet und erklärt, die SPD akzeptiere Bürgerbegehren unabhängig davon, ob es der Partei gerade in den Kram passe oder nicht. Ostwald im Juni: „Sollte es zu einem von Bürgerinnen und Bürgern initiierten Bürgerbegehren kommen, erkennen wir diesen gesetzlichen Anspruch selbstverständlich an. Wir unterscheiden nicht, ob uns ein Bürgerbegehren inhaltlich in den Kram passt oder nicht.“
Der SPD-Fraktionsvorsitzende entpuppt sich als Wendehals, für Bürgerbegehren-Initiator Benno Colmorgen war das und die gesamte Sitzung am Donnerstag Abend keine Überraschung. Der Mediziner sagte den HU-Nachrichten, dass damit zu rechnen gewesen sei, dass „präfinale Zuckungen“ stattfinden. Präfinale Zuckungen – was heißt das? Colmorgen: „Präfinale Zuckungen sind Zuckungen kurz vorm Tod.“
Christian Meeder
14. Oktober 2017