Ob dem Bundespräsidenten bei der morgendlichen Zeitungslektüre das Croissant im Halse stecken bleibt, er die Zeitungen gar wütend vom Frühstückstisch fegt oder konsequent nur noch zu den bunten Blättern mit den Nachrichten aus den Königshäusern dieser Welt greift, ist nicht überliefert.
Dass Wulff zumindest zu Beginn der Affäre kurzzeitig die Contenance verloren haben muss, pfeifen derzeit allerdings die Spatzen von den Dächern. So hat der erste Mann im Staat – Medienberichten zufolge – vor dem ersten Bericht der BILD-Zeitung über seinen Privatkredit von einem befreundeten Unternehmer, kurzerhand die Nummer von Chefredakteur Kai Dieckmann ins Telefon getippt und auf dessen Handy-Mailbox eine Wut-Tirade hinterlassen. Die gipfelte schließlich darin, dass er dem Boulevardblatt bei einer möglichen Berichterstattung mit einem Strafantrag gedroht haben soll. Sogar von „Krieg führen“ sei die Rede gewesen.
Die Wulff-Intervention ging freilich nach hinten los: Nicht nur, dass die Zeitung sich nicht beirren ließ und, wie geplant, über das Finanzgebaren des Präsidenten berichtete, die Wulff-Aktion scheint die BILD-Redaktion geradezu herausgefordert zu haben. Denn seit Beginn der Berichterstattung in der Adventszeit vergeht kaum ein Tag, an dem die Causa Wulff nicht Thema in BILD ist.
Dass die Hinterlassenschaft des Präsidenten auf der Mailbox des Chefredakteurs nun öffentlich wurde, beleuchtet gleichsam ein Thema, das sonst eher im Verborgenen bleibt: die versuchte Einflussnahme auf unliebsame Berichterstattung. Ein Mann, der davon ein Liedchen singen könnte, ist Jörg Schlömann, Chefredakteur der Henstedt-Ulzburger Nachrichten, der seine journalistische Laufbahn bei den Kieler Nachrichten begann und später dann auch bei BILD und dessen Schwesterblatt BZ tätig war. Zum Leidwesen des Fragestellers weigert sich Schlömann allerdings, detaillierter über seine Erfahrungen zu berichten: Auch hier habe Informantenschutz Vorrang.
Ganz allgemein gehe es im Regelfall bei versuchter Einflussnahme auf die Berichterstattung aber weit weniger plump zu, als jetzt bei der Aktion von Christian Wulff, so Schlömann. Bei ihm hätten solche Versuche meist in persönlichen Gesprächen stattgefunden. „Die habe ich gerne wahrgenommen, weil ich die Argumente erfahren wollte, die mich an einer Veröffentlichung hindern oder die Berichterstattung in eine bestimmte Richtung lenken sollten. Aus ihnen kann man auch seine Schlüsse ziehen. Auch bei den Henstedt-Ulzburger Nachrichten hat es solche Versuche der Einflussnahme schon gegeben.“
Schlömann: „Derartige Vorstöße bewirken allerdings genau das Gegenteil von dem, was sie bewirken sollen: Journalisten sehen nun mal ihre Aufgabe darin, Geheimniskrämerei aufzudecken. Davon lassen sie sich auch nicht durch Interventionen oder gar Drohungen abbringen. Sie fühlen sich der Klarheit und Wahrheit verpflichtet – mag sie auch subjektiv sein.“
Dann weist Schlömann noch auf einen weiteren Aspekt der Einflussnahme hin: Wenn wichtige Anzeigenkunden mit dem Entzug von Aufträgen drohen. Das sollen auch Henstedt-Ulzburger Geschäftsleute schon getan haben. Ein überregionales Beispiel für den möglichen Einfluss von Anzeigenkunden auf die Berichterstattung sei Aldi: „Vielleicht ist es kein Zufall, wenn über den Discounter kaum Negatives zu lesen ist. Als 2004 die Süddeutsche Zeitung kritisch über die Supermarktkette berichtete, stornierte diese anschließend kurzerhand ihre Angebots-Anzeigen.“
In dieser Hinsicht haben die Henstedt-Ulzburger Nachrichten gegenüber anderen Medien einen wesentlichen Vorteil: totale Unabhängigkeit.
Christian Meeder
3. Januar 2012