Dieses Thema interessierte ausnahmsweise mal alle Schüler – allerdings nicht in ihrem Klassenzimmer der Olzeborchschule, sondern in der Henstedt-Ulzburger Paracelsusklinik. Denn hierher war der Unterricht an diesem Tag verlegt worden. Was die 28 Jungen und Mädchen der neunten Klasse dann jedoch erwartete, überstieg bei Weitem ihre Vorstellungskraft: Hier ging es nämlich richtig zur Sache.
Klassenlehrerin Margot Thieß hatte zuvor noch betont, dass es ihr bei dieser Veranstaltung vor allem um Gesundheitsvorsorge ging. Aber auch um die Klassenreise im September an den Gardasee. „Ich möchte einfach, dass sie harmonisch verläuft.“ Der Gruppenzwang sei in diesem Alter so groß, dass man für nichts garantieren könne. Unterstützt in ihrem Bemühen wurde die Lehrerin von Diplompädagogin Kerstin Klennert, zuständig für Suchtberatung und Prävention im Kreis Segeberg.
Dozent war Dr. Olaf Mindermann, der den Schülern anhand einer PowerPointPräsentation alarmierende Fakten und Zahlen erläuterte, angeführt von einem Zeitungsartikel mit dem Titel „15-Jährige hatte 4,1 Promille – nach Trinkgelage auf der Intensivstation“. Also eine Alkoholvergiftung, wie sie gerade jüngst wieder vorkam, als zwei junge Patientinnen zu Pfingsten bei ihm auf der Intensivstation behandelt werden mussten.
Damit kam auch das Komasaufen, bevorzugt nach einem Discobesuch oder Partys, zur Sprache, das im schlimmsten Fall tödlich enden kann, wenn der oder die Betroffene nicht schnellstmöglich in eine Klinik kommt. „Zum Glück ist dieses extreme Verhalten in den letzten ein, zwei Jahren rückläufig“, meinte der Arzt. „Aber bei uns im Krankenhaus nimmt die Einlieferung alkoholiserter Jugendlicher leider zu.“
Wie alt sind Schüler, wenn sie ihr erstes Bier trinken? Zwölf Jahre. Ihren ersten Vollrausch haben sie dann mit 13 Jahren. „Wer in diesem Alter den ersten Alkohol trinkt, erhöht sein Risiko, auch später immer wieder zur Flasche zu greifen“, mahnt Dr. Mindermann. Das Belohnungszentrum im Gehirn sei gerade während der Pubertät äußerst empfänglich für alle glücksauslösenden Stoffe wie Alkohol und Drogen. Daher auch der Wiederholungsdrang, der schließlich süchtig macht. Aber: Alkohol ist kein Getränk, sondern ein Genussmittel, das süchtig macht. Letztlich ein Gift. Das sollten sich vor allem Jugendliche klarmachen.
Im Jahr 2000 waren es noch fast 10.000 Jugendliche in Deutschland, die wegen Alkoholmissbrauchs behandelt werden mussten. 2011 waren es bereits 30.000! Ein Vergleich zeigt, welche verheerenden Ausmaße der Alkohol hat: Jährlich sterben 1.237 Menschen an illegalen Drogen, 4000 bei Verkehrsunfällen, aber 174.000 sterben durch Alkohol! Schon ab 0,3 bis 0,5 Promille beginnen Enthemmung sowie Gleichgewichts- und Sehstörungen mit Tunnelblick. Ab 2,5 Promille kommt es zu Aggressionen, Bewusstseinstrübungen und Lähmungserscheinungen, die lebensbedrohlich sein können.
Ein heilsamer Schock waren ganz sicher die beängstigenden Fotos eines Alkoholikers im Endstadium sowie die Ansicht einer gesunden Leber und einer Leberzirrhose: ein graubrauner vernarbter Klumpen. Die gute Nachricht: Selbst ein derart zerfressenes Organ kann sich irgendwann wieder erholen und funktionieren, wenn sofort und konsequent auf Alkohol verzichtet wird. Welche Organe außerdem durch Alkohol geschädigt werden, sind Gehirn, Herzmuskel und Bauchspeicheldrüse, wobei die Entstehung von Demenz und Krebs ebenfalls begünstigt wird.
Diese erschreckenden Erkenntnisse mussten die 15-jährigen Schüler erst einmal verdauen – bei einem liebevoll vorbereiteten Imbiss mit Fruchtsäften -, bevor die nächste Schocktherapie folgte: die DrunkBusterBrille – die „Promille-Brille“. Sie simuliert das Verhalten bei 0,8 und 1,3 Promille bei Tag und Nacht.
Getestet wurde der Gang auf der weißen Linie, den keiner der Schüler „gerade“ bewältigte, sondern schwankte und verunsichert daneben trat. Bei einem einfachen Ballspiel flog der Ball sonst wohin, nur nicht in die Hände des Mitspielers. Immer und immer wieder. Besonders sichtbar wurden die Fehleinschätzungen beim Umfahren der rotweißen Verkehrshütchen mit einem Mini-Buggi. Da fuhren sowohl Jungen als auch Mädchen wie blind gegen die Hindernisse, kippten sie um oder rutschten selbst vom Fahrzeug. Überzeugender ließ sich die Wirkung des Alkoholpegels wahrlich nicht demonstrieren.
Auf die Frage, wie sie diesen Vormittag erlebt hätten und was die Erkenntnisse bei ihnen bewirkten, antworteten einige Schüler, es sei schon „krass, was da abgeht“. Dennoch fühlten sie sich sicher, dass sie wüssten, wann sie aufhören müssten, wenn sie in der Disco oder auf einer Party unterwegs sind. Aber – „Woher weiß ich denn, wie viel ich vertrage, wenn ich es nicht ausprobiere?“ Dass sie „manchmal“ Fruchtsäfte mit Gin, Wodka und Bacardi mixten und diese Drinks als „ganz harmlos“ empfinden, macht jedoch nachdenklich. Nur gut, dass die Nachbearbeitung mit Suchtberaterin Kerstin Klennert schon in eineinhalb Wochen erfolgt. Das lässt hoffen …
Gabriele David
2. Juni 2013