Finanzseminar mit Seitenhieben gegen den politischen Gegner hatten die Henstedt-Ulzburger Nachrichten den Auftritt von Finanzminister Wolfgang Schäuble am Freitag Abend im Bürgerhaus genannt. Diese Einschätzung bleibt auch nach einem Tag Abstand gültig. Denn Schäuble war nicht nach Henstedt-Ulzburg gekommen, um über den Kreis Segeberg oder gar über die Großgemeinde zu reden.(O-Ton: Da wissen andere viel besser Bescheid). Sein Thema war einmal mehr die Situation des Euro und die Lage der Wirtschaft in der Bundesrepublik und in Europa. Er redete über die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft, darüber dass der Wachstumseinbruch 2009 in den letzen beiden Jahren mehr als kompensiert werden konnte, und dass Deutschland aktuell die höchste Beschäftigung in seiner Geschichte aufweise. Ein Grund dafür sei auch die Gemeinschaftswährung: Ohne Euro hätten wir weniger Wachstum und mehr Arbeitslose, so die Meinung des Finanzministers.
Die eigentliche Wirkung, die Schäubles Auftritt beim Neujahrsempfang des CDU-Kreisverbandes im Bürgerhaus bewirken sollte, wäre dabei allerdings um ein Haar schiefgegangen. Denn der Auftritt des Finanzministers sollte auch mithelfen, die eigenen Mitglieder und Anhänger für den anlaufenden Landtagswahlkampf zu motivieren. Doch die Rede von Schäuble, die insbesondere für neues Vertrauen in den Euro warb, drohte durch neue Meldungen von den Finanzmärkten konterkariert zu werden. So geriet der Euro noch während der Anreise des Ministers wieder einmal gehörig unter Druck: Die Nachricht von einer Ratingabstufung von gleich neun Euro-Ländern machte im Ministerauto die Runde. Die erwartungsfrohen Anhänger im vollbesetzten Bürgerhaus wussten davon zwar noch nichts, doch das würde sich spätestens auf der Fahrt nach Hause beim Einschalten der Nachrichten im Autoradio ändern. Schäuble musste also darauf reagieren und die zu erwartende Nachrichtenlage irgendwie antizipieren.
Der Finanzminister löste die Aufgabe gekonnt: Er schlüpfte kurzerhand in die Rolle eines Sehers und sagte voraus, dass es in nächster Zeit neue irritierende Meldungen zum Euro geben werde. Und weiter: „Lassen Sie sich dadurch nicht verunsichern, sie können darauf vertrauen, dass der Euro stabil bleibt.“ Der Finanzminister umschiffte damit eine gefährliche Klippe, denn was bringen aufmunternde Worte zur gemeinsamen Währung und zur allgemeinen Finanzlage, wenn die Anhänger nur kurze Zeit später mit neuen Unsicherheiten konfrontiert werden.
Dank Schäubles Wandlungsfähigkeit zum Hellseher waren die CDU-Mitglieder nun gut vorbereitet auf die neuen Euro-Krisen- Nachrichten in den Zeitungen am Wochenende. Die Nachhaltigkeit des Schäuble Auftritts auf die Motivation der Anhänger war gesichert.
Jung und alt jedenfalls fanden Schäubles Einlassungen zu Wirtschaft und Finanzen unisono gut, Peter Jens Schmidt von der Senioren-Union beeindruckte zudem die Lockerheit des Finanzministers: „Bei einem Besuch in Berlin haben wir ihn ganz anders erlebt“. Und auch Leo Schäfer, Zweiter Vorsitzender der Jungen Union im Kreis, fand, er habe eine spritzige Rede gehalten. In der Tat gelang es dem Finanzminister trotz der schwierigen Materie, den Saal ein ums andere Mal mit humorvollen Sprüchen zum Lachen zu bringen.
Etwas ernster klang Schäuble allerdings noch kurz vorher beim Vier-Augen-Gespräch mit den Henstedt-Ulzburger Nachrichten. „Wie finden Sie denn die negativen Zinsen bei kurzfristigen deutschen Staatsanleihen“, hatten die ihn gefragt. Dazu muss man wissen: Erstmals in der deutschen Geschichte zahlen Anleger dem Staat bei Kurzläufern Geld dafür, dass sie ihm Geld leihen. Wenn man so will eine Art Tresorgebühr. Eigentlich müsste sich der Finanzminister darüber freuen, doch Schäuble Gesicht spiegelte statt Freude eher Besorgnis wider: „Wissen Sie, wir leben in unsicheren Zeiten, die Verunsicherung ist mancherorts übergroß, die Minuszinsen sind ein Mistrauenssignal gegenüber den Finanzmarktinstitutionen.“ Für einen kurzen Moment sah es so aus, als sei Schäuble weit weniger sicher als sonst, ob die Euro-Krise sich bewältigen lasse, ehe sich dann doch wieder der alte Politikerhabitus durchsetzte: Nur keine eigene Unsicherheit zeigen. Schäuble schob jedenfalls schnell hinterher: Die kurzfristigen Negativ-Zinsen seien eine Markt-Überreaktion, das Phänomen werde nicht lang anhalten.
Christian Meeder
14.01.2012