Kuriose Entscheidung am Dienstag im Gemeinderat: Die Freizeit-Politiker haben die ohne hauptamtlichen Bürgermeister arbeitende Verwaltung mit noch mehr Kompetenzen ausgestattet. Ganz konkret übertrugen die Gemeindevertreter der Verwaltung die Entscheidungsgewalt für Bauanfragen. Mit den Stimmen von CDU, SPD, BFB und FDP wurde beschlossen, dass zukünftig alleine der/die Bürgermeister/in für die Erteilung des sogenannten gemeindlichen Einvernehmens zuständig ist. Ausnahme: Bei grünplanerischen Festsetzungen in Bebauungsplänen soll weiterhin die Politik entscheiden.
Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Horst Ostwald, der die Zuständigkeitsverlagerung maßgeblich vorantrieb, geht es bei der Abtretung der Entscheidungsbefugnis allein um Bürgerfreundlichkeit: Bauanträge könnten zukünftig von der Verwaltung viel schneller behandelt werden. Statt nach mehreren Wochen könnten die Bürger schon nach einer Woche eine Antwort erhalten, so der SPD-Mann. Dazu sprach Ostwald von einer Kontrollwut der Politik, die es abzustellen gelte.
Contra gab’s von der WHU. Fraktionsvorsitzende Karin Honerlah warf den anderen Fraktionen vor, damit leichtfertig eine Steuerungsmöglichkeit für die Ortsentwicklung aus der Hand zu geben. Und erinnerte an den Fall der Klein-Sabiner-Straße: Dort wollte die Verwaltung vor einem Jahr eine Bauanfrage durchwinken – für den Bau eines Mehrfamilienhauses mit elf Wohneinheiten und zwölf Stellplätzen.
Die Politiker widersprachen allerdings der Verwaltung, Begründung: Zwölf Stellplätze bei elf Wohneinheiten seien nicht ausreichend. Und genehmigten statt der elf nur acht Wohneinheiten, forderten dazu 14 Stellplätze, korrigierten also die Verwaltung, die nicht auf ausreichend Parkplätze geachtet hatte.
Mit ihrem Beschluss, die Entscheidungsbefugnis für das gemeindliche Einvernehmen allein der Verwaltung anzuvertrauen, ermöglicht die Politik nun, dass Verwaltungsfehler wie im Fall der Klein-Sabiner-Straße leichter unentdeckt durchrutschen können.
Ein Mann, der sich damals übrigens besonders für das richtige Verhältnis von Wohneinheiten zu Parkplätzen stark gemacht hatte, war CDU-Gemeindevertreter Jens Müller. Zum Leidwesen von Karin Honerlah suchte man Müller, der ihr argumentativ hätte beispringen können, am Dienstag im Ratssaal vergeblich: Der CDU-Mann macht derzeit Urlaub. Müller hatte seinen Gemeinderatskollegen allerdings eine Grußkarte geschickt. Den Inhalt las Bürgervorsteher Carsten Schäfer in der Sitzung vor: „Liebe Kollegen“, heißt es darin, „fällt mir gute Entscheidungen…“
Christian Meeder
18. April 2013
August 2012 – Gemeinderat Müller tütet Mehrfamilienhaus in der Klein-Sabiner Straße ein