Henstedt-Ulzburger Nachrichten

Einmaliges Projekt am Alstergymnasium: Bewerbungstraining im Klassenzimmer

Coach und Personalpsychologe bei der Beurteilung des Rollenspiels

„Wie werde ich fit für das Berufsleben? Wie präsentiere ich mich so, dass mein Auftreten meinen zukünftigen Chef von meiner Qualifikation als Azubi überzeugt?“ Auf diese Fragen vermittelte das Alstergymnasium seinen Schülern der 11. Klasse eine interessante Antwort: das Assessmentcenter-Training vor Ort. Assessment bedeutet „beobachten, beurteilen“ – Center in diesem Zusammenhang Kreis oder Gruppe. Also Gruppendiskussion, Rollenspiel, Präsentation und Verhalten nach Knigge. Diese zentrale Aufgabe hat das Henstedt-Ulzburger Gymnasium sieben Personalentscheidern, einem Coach und Berufungsfinder sowie einem Sozialpädagogen und einem Rechtsanwalt, alle aus der Region, übertragen. Die einleitende Moderation führte Firmenbetreuer Andre Poser von der Barmer GEK.

Erste Kontakte mit den Chefs hatten die Schüler bereits in der achten Klasse, indem man sie theoretisch auf die Wichtigkeit des Vorstellungsgesprächs vorbereitete – mit Lebenslauf und Bewerbungsunterlagen. Diesmal ging es um die Praxis. Vorgeschlagen wurde ein Rollenspiel, in dem ein Schreibtisch ausgestattet wird, während alles gleichzeitig passiert: das Telefon klingelt, jemand sucht etwas, ein anderer ruft, es fällt etwas herunter … Nun wird vermittelt, wie man Wichtiges von Unwichtigem unterscheidet, ohne dabei in Stress zu geraten. Oder wie man sich innerhalb von drei Minuten vor einem Gremium selbst vorstellt. Sauberkeit bei der Bewerbung, keine Eselsohren oder Flecken auf dem Papier – der erste Eindruck muss stimmen. Wenn der positiv ausfällt, kümmert man sich erst um die guten Zensuren.

2000 Bewerbungen stehen 160 Lehrstellen gegenüber. Da verwundert es nicht, dass das strenge Auswahlverfahren von Psychologen begleitet wird. Der künftige Azubi steht also die ganze Zeit unter Beobachtung. Sicheres Auftreten ist daher das A und O. Wie bringt man z.B. Mitarbeitern bei, dass Überstunden geleistet werden müssen? Oder jemand hat etwas gestohlen – an wen wendet man sich? Wie kommt man mit Zeitdruck klar? Die Beobachtung geht sogar bis zur Mittagspause. Wie verhält er sich am Büfett, drängelt er vor oder trinkt er ein Bier? Setzt er sich allein an einen Tisch? Die Aufmerksamkeit der Personalchefs und Psychologen reicht von guten Tischmanieren bis zur Zivilcourage. Ob mangelnder Respekt, den man tunlichst vermeiden sollte, oder Höflichkeit – alles ist wichtig. Und vor allem mittags nicht „Mahlzeit“ sagen. Neben Kleidung und Stimme wird besonderer Wert auf den Händedruck gelegt. Auf keinen Fall nur die Fingerspitzen reichen oder eine schlaffe Hand, den sogenannten „toten Fisch“. Ein leichter Gegendruck genügt, um dem Gegenüber dezentes Selbstbewusstsein zu signalisieren.

Dann folgte das Rollenspiel Die anwesenden 30 Schüler wurden auf drei Klassenräume verteilt, begleitet von den verschiedenen Personalentscheidern und Firmenchefs. Michael Mauder, u.a. Personalpsychologe der Firma TA Triumph Adler GmbH, betonte noch einmal, dass es sich bei dieser Veranstaltung um eine Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft handele. Beide Seiten seien aufeinander angewiesen. Für ihn ist es wesentlich, bei der Betreuung junger Menschen den eigenen Spaß an der Arbeit an sie weiterzugeben. „Also löchern Sie uns, fragen Sie, damit Sie einen guten Start ins Berufsleben haben.“

Die Aufgabe: eine Reise für Jugendliche von 18 bis 25 Jahren zu organisieren. Was ist dabei am wichtigsten, worauf muss besonders geachtet werden? Vorgegeben waren fünf Punkte, deren Stellenwert von den einzelnen Schülern herausgefunden werden und am Ende möglichst übereinstimmen sollte: Lage des Ortes, Übernachtung, Animation und Sicherheit sowie Nachtleben und Ausflüge. Eine Viertelstunde Vorbereitungszeit wurde den Schülern gewährt. Da das Thema speziell auf den jugendlichen Geschmack abgestimmt war, war man gespannt, worauf es ihnen dabei ankam, zumal ja die Eltern die Reise bezahlten.

Unterstützt bei der Beurteilung der einzelnen Kommentare wurde Michael Mauder von Coach und Berufungsfinder Gabriele David, die letztlich überrascht war, wie vernünftig einige die Reise durchkalkulierten, immer im Hinblick darauf, dass die Reise ja von den Eltern finanziert wurde und man nicht das Recht hätte, zuviel Geld auszugeben, während andere vor allem ans Feiern und ans Nachtleben dachten. Am wichtigsten war ihnen der Urlaubsort, auch wegen des Wetters, andere wollten die Mentalität der Einheimischen kennenlernen. Worauf ein Schüler sagte: „Aber du kannst doch keine netten Menschen buchen!“ Als Gegenpol zur Reglementierung in der Schule wollten fast alle die Freiheit unterwegs nutzen, aber auch sportliche Aktivitäten. Interessant, wie sie sich dann doch irgendwie auf einen gemeinsamen Nenner verständigten, was ja letztlich auch der Sinn der Übung war. Aber auch das Verhalten einiger Schüler, wenn sie ihre Wünsche nicht durchsetzen konnten: Entweder sie wurden laut oder resignierten.

All das wurde aufmerksam von den beiden Beobachtern registriert, die sogleich im Wechsel mit negativer oder positiver Kritik aufwarteten. Aber so behutsam und fair, dass sich keiner vorgeführt fühlte oder beleidigt war. Ganz im Gegenteil! Einige lächelten entschuldigend, wenn auf ihre unmögliche Fußstellung unterm Stuhl aufmerksam gemacht wurden, oder auf den ständig in der Hand gedrehten Kugelschreiber beim Reden etc. Für beide Seiten war es eine interessante Erkenntnis, an der man arbeiten konnte. Und da man ja noch etwas Zeit bis zur Berufswahl bzw. bis zum ersten Vorstellungsgespräch hat, könnte jeder noch ein wenig an seinem Auftreten feilen, um dann, wenn es soweit ist, ein perfektes Image abzugeben.

Wie wichtig derartige Veranstaltungen für die Unternehmen sind, zeigt sich daran, dass alljährlich viel zu viele Lehrstellen nicht besetzt werden können, weil es nicht genügend qualifizierte und ausbildungsfähige Schulabgänger gibt. Mit diesem System könnte dem Problem erfolgreich entgegengewirkt werden.

H-UN

28.3.2014