Das bewegte Leben der Gisa Casties

„Lieber ein eckiges Etwas als ein rundes Nichts“ – dieses Zitat von Friedrich Hebbel scheint für Gisa Casties zum Lebensmotto geworden zu sein. In Henstedt-Ulzburg genießt sie sowohl auf politischer als auch auf kultureller Ebene einen außergewöhnlichen Bekanntheitsgrad. Was wohl auch ihre ungewöhnlichen Alleingänge erklärt, die sich die meisten von uns nicht trauen würden. Und wenn ihr etwas nicht gefällt, macht sie das auch deutlich. Womit sie sich nicht nur Freunde gemacht hat. Dennoch gilt Gisa Casties als Ausnahmepersönlichkeit auf vielen Ebenen.

Dass sie mit ihren 71 Jahren (die man ihr nicht ansieht) noch immer Blut spendet, traut man der zierlichen Frau gar nicht zu, passt aber in das widersprüchliche Mosaik ihres Lebens. Inzwischen sind es 190 Blutspenden à 500 Milliliter. Beim 200sten Mal wird sie im Rathaus dafür geehrt. „Es ist schon ein gutes Gefühl, damit Menschen helfen und Leben retten zu können.“ Ganz im Gegensatz zu ihren Vorfahren mütterlicherseits, die das Land in Springe bei Hannover als Raubritter von Remmershausen in Angst und Schrecken versetzten. Mit dem Ergebnis, dass sie ihr Adelsprädikat verkaufen mussten und Gisa Casties’ Großmutter „nur noch“ Remmers hieß. Ob ihre Unerschrockenheit vielleicht daher rührt …?

Immerhin ist sie 21 mal umgezogen, bevor sie 1971 mit ihrem Sohn in Henstedt-Ulzburg sesshaft wurde. Geboren in Dresden, wuchs sie in fünf verschiedenen Städten dreier Bundesländer auf. Und sie besuchte acht Schulen. Gisa Casties ließ diese ständigen Ortswechsel, bedingt durch den Beruf ihres Vater als Handelsvertreter, gehorsam über sich ergehen, musste sich aber immer wieder neu orientieren. Freundschaften endeten abrupt, nachdem sie kaum geschlossen waren. „Dieses Wanderleben war wohl auch schuld daran, dass ich mich nach nur zweieinhalb Jahren Ehe von meinem Mann trennte und allein mit unserem Sohn lebte“, meint sie gleichmütig.

Diese ständigen Ortswechsel hatten aber noch etwas zur Folge, das sich erst viel später manifestierte. „Mir fehlte einfach das Urvertrauen.“ Darauf hatte sie eine Psychologin gebracht, als Gisa Casties vorübergehend an sich selbst zweifelte. Und obwohl es immer wieder attraktive („und auch charmante“) Männer in ihrem Leben gab, zog sie ihre Freiheit vor. „Damit komme ich immer noch am besten klar.“ Denn nach ihrer Ehe war sie Männern gegenüber misstrauisch geworden.

Gleich nach dem Abitur ging sie nach London, was damals noch als ziemlich mutig galt. „Europa war ja gerade erst im Entstehen, und ich brauchte natürlich eine Arbeitserlaubnis als ‚Student employee’, die vom Sommer 1961 bis Weihnachten 1962 gültig war.“ In dieser Zeit machte sie ein hotelkaufmännisches Praktikum und eine entsprechende Ausbildung im Hotel inklusive Englisch.

Von London ging’s zurück nach Hamburg – ins Vierjahreszeiten-Hotel als Restaurant-Kassiererin. „Das machte viel Spaß dank der engen Zusammenarbeit mit den Kellnern. Ein verantwortungsvoller Posten, aber auch sehr unterhaltsam.“ Irgendwann wollte sie jedoch mehr verdienen, was in der Hotelbranche damals aussichtslos war. Aber sie wollte nicht ewig in ihrem möblierten Zimmer wohnen, sondern später auch eine Familie haben. Also heuerte sie bei einer großen Reederei an – in der Buchhaltung mit Lochkartensystem. „Was mich damals sehr beeindruckte, war, dass der lärmende Lochkarten-Rechner ein ganzes Zimmer für sich hatte!“ Danach arbeitet Gisa Casties als Übersetzerin in der renommierten Howaldt-Werft. Und danach über ein Jahr bei BEA, den British European Airlines, im Frachtbüro.

Viele Stationen im Leben einer jungen Frau, die das Glück suchte und es manchmal auch ganz schön herausforderte. „Allein 14 meiner Urlaube habe ich in den USA verbracht. Immer in Nevada. Das hat mich unglaublich beeindruckt.“ Wie es dazu kam? „Wegen Tschernobyl. Dort gab es einmal im Monat eine Anti-AKW-Demonstration.“ Und wie hatte sie davon erfahren? „Im Herbst 1986 bekam ich ein kleines unscheinbares Flugblatt in die Hand. Darin ging es um ein Zeltlager mit Demonstration am Testgebiet in Nevada.“ Die Aktion dauerte über eine Woche und musste selbst bezahlt werden. „Das wollte ich unbedingt machen.“ Ihr Sohn war damals schon alt genug, um allein zu Hause zu bleiben.

Unter dem Motto „American Peace Test“ wollte eine Gruppe den Frieden proben. „Das alles hat mich sehr fasziniert – wie überhaupt diese wunderbare Landschaft, diese unendliche Weite – einfach unvorstellbar schön.“ Es war eine ganz andere Welt, die sie da erlebte. Vor allem bei den Indianern. „Obwohl ich da von einer Klapperschlange bedroht wurde. In Ermangelung eines Badezimmer saß ich in einer Badewanne, die schräg am Hang befestigt war. Ein wunderbares Panorama! Plötzlich höre ich dieses Klappern. Da schaut mich die Schlange an. Sie fühlte sich wohl von mir gestört.“ Nach dem ersten Schreck ließ es sich die leidenschaftliche Fotografin jedoch nicht nehmen, diese heikle Situation mit ihrer Kamera festzuhalten. Und mit einem traurigen Seufzer fügt Gisa Casties hinzu: „Ich würde sofort wieder losfahren. Aber leider ist es mir inzwischen viel zu teuer.“

Bei ihrer zweiten Nevada-Reise ließ sie es allerdings darauf ankommen und riskierte eine kurzzeitige Verhaftung: Sie ging mit den Demonstranten ins verbotene Testgebiet hinein. Da schnappte die Falle zu. Zusammen mit 5000 anderen „Gelände-Verletzern“ wurde sie festgesetzt und verbrachte eine Nacht im US-Knast. Aber selbst das ängstigte sie nicht. Ganz im Gegenteil – sie fand es hochinteressant. „Als 45-Jährige inmitten all dieser Nationen – von der Hure bis zum japanischen Mönch! Das hatte doch was.“ Demonstrationen hatten es ihr in dieser Zeit angetan. Dank ihrer Englischkenntnisse wurde sie oft genug als Dolmetscher herangezogen. „Ich war auch mal Hausbesetzer in San Francisco“, lächelt sie versonnen in Erinnerung an diese wilde Zeit.

Zurück im bürgerlichen Leben widmete Gisa Casties sich in den folgenden fünf Jahren als FDP-Mitglied im Ortsverband dem Sozialausschuss der Gemeinde. Später gehörte sie u.a. dem Organisationsteam der Kunst- und Kulturwoche mit Ingrid Wacker an, lernte Zeichnen bei der Malerin Sabine Helgesson und gibt inzwischen als VHS-Dozentin selbst Zeichenunterricht. Vereinzelt malt sie auch mit Acryl oder Kreide. Ihre Motive? „Alles.“ Die Fotografie hat es ihr ebenfalls angetan, vor allem auf Reisen, und geht weit über den Status eines Hobbys hinaus. „Weil es mir einfach Spaß macht.“ Vor allem, seit es die Digitalfotografie gibt, „die es einem erlaubt, ganz nah ans Motiv heranzugehen“.

Und dann steht da noch ein „Protest im Rahmen des zivilen Ungehorsams“ in ihrer Vita: Gisa Casties hatte die Volkszählung verweigert. Zusammen mit Volker Puchalla, dem Redakteur des Heimatspiegel, der darüber schreiben wollte, hockte sie vor der Erhebungsstelle des Bürgerhauses. Sie hatte erfahren, dass ausgefüllte Erhebungsbögen, gebündelt zum Versand, in einer Mülltonne gelandet waren. Das durfte eigentlich nicht bekannt werden, „aber ich hatte es weitergetratscht …“ Das war übrigens noch vor der Wiedervereinigung. „Ich wurde verklagt, habe mein Bußgeld bezahlt und sollte meinen ausgefüllten Bogen dann doch noch abgeben.“ Und dann habe sie die Erhebungsstelle gesucht, die es nach der Wiedervereinigung natürlich nicht mehr gab. Ein echter Schildbürgerstreich …

Um das Ganze friedlich enden zu lassen: Vom 27. Juli bis 25. August stellt Gisa Casties ihre Bilder in Barmstedt aus – als „Kunst im Schaufenster“ bei Spiel und Freizeit Bieberstein, Am Markt 14.

Gabriele David

16.7.2013

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