Gemeinde will Amtsdeutsch abschaffen – Rathausmitarbeiter sollen dafür Schulbank drücken

Auszug aus dem Aktionsplan Inklusion"Alle für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen aus Politik und Verwaltung werden in „einfacher Sprache“ zur Verfügung gestellt oder in einem Begleitschreiben entsprechend erklärt."
Auszug aus dem Aktionsplan Inklusion: Alle für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen aus Politik und Verwaltung werden in „einfacher Sprache“ zur Verfügung gestellt oder in einem Begleitschreiben entsprechend erklärt.

Tolle Nachricht drei Wochen vor der parlamentarischen Sommerpause. Henstedt-Ulzburg will das behördendeutsch abschaffen.

Eine entsprechende Aussage hat es in einen ‚Aktionsplan Inklusion‘ geschafft. Der Aktionsplan wurde am vergangenen Donnerstag einstimmig verabschiedet. Darin heißt es: „Alle für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen aus Politik und Verwaltung werden in ‚einfacher Sprache‘ zur Verfügung gestellt oder in einem Begleitschreiben entsprechend erklärt. Im Klartext: Da, wo sich bürokratensprech gar nicht vermeiden läßt, gibt es eine Übersetzung in verständliches Alltagsdeutsch.

Primäres Ziel dieser konkreten Inklusionsidee ist laut Ortsparlament eigentlich, dass Menschen mit geistigen Defiziten Behördenpapiere verstehen können. Tatsächlich ist das Verstehen von Rathauspapieren nicht nur ein Problem für Behinderte.

Vor zwei Wochen stöhnte CDU-Fraktionschef Dietmer Kahle im Umwelt- und Planungsausschuss auf, forderte die Verwaltung auf, eine Rathausvorlage bitte so verständlich zu machen, dass auch er sie verstehen könne. Am Donnerstag verzweifelte dann WHU-Gemeindevertreter Kurt Göttsch beim Lesen eines Behördenpapiers aus der Amtsstube von Ordnungsamtsleiter Joachim Gädigk. Göttsch kopfschüttelnd im Ratssaal: “ Tut mir leid , ich verstehs nicht.“

So toll die Idee auch ist: Die Umsetzung kann noch ein Weilchen dauern. Im Finanzausschuss müssen zunächst noch finanzielle Mittel losgeeist werden – für Fortbildungen der Rathausmitarbeiter. Sich nicht umständlich, sondern verständlich auszudrücken will natürlich gründlich gelernt sein.

Insgesamt ist der ‚Aktionsplan Inklusion‘ 30 Seiten stark. Neben der Offensive für verständliche Sprache werden 70 weitere Punkte aufgeführt. Das Papier ist im Bürgerinformationssystem der Gemeinde abrufbar.

Christian Meeder

22. Juni 2015

15 thoughts on "Gemeinde will Amtsdeutsch abschaffen – Rathausmitarbeiter sollen dafür Schulbank drücken"

  1. Zitat im Artikel: „Alle für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen aus Politik und Verwaltung…..“. Also betrifft das nicht die amtlichen Bescheide für Grundsteuererhebung, Straßenbaubeiträge etc. und die Antwortschreiben der Verwaltung zu allen möglichen Bürgeranfragen; denn die sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.
    Wer kann überhaupt den Begriff „Amtsdeutsch“ definieren? Ich nicht. Ich kann Herrn Berg nur zustimmen, dass es völlig normal ist in den jeweiligen Berufen den dort vorherrschenden „Dialekt“ oder die entsprechende Fachsprache zu übernehmen. Soll von der Gemeindeverwaltung eine Sprache gewählt werden, die der von einigen Jugendlichen gepflegten „Umgangssprache“ entspricht mit Formulierungen wie „total geil“, „hey Alter“ , „glotz nicht“, “ bin ich Kino“ oder etwa dem Sprachgebrauch , der in diesem Forum von einer Minderheit gepflegt wird? Bitte nicht!
    Ich denke es geht um etwas anderes. Beim Lesen der Beratungsvorlagen vermisse ich oftmals einen „roten Faden“ in dem das Kernproblem strukturiert und systematisch analysiert und eine klare Perspektive mit einem konstruktuiven Lösungsvorschlag abgearbeitet wird. Das habe ich insbesondere bei der Ablehnung der Bürgervorschläge für Geschwindigkeitsbegrenzungen in der Norderstedter Straße und Kisdorfer Str.-Dorfstraße vermisst und in meiner Anfrage in der Sitzung kritisiert.
    Zum „Amtsdeutsch“ noch eine Anmerkung: Ich bin als Zeuge in einer Immobilienstreitsache vom Landgericht Lüneburg vorgeladen und habe die Klageschrift und Klageerwiderung der Anwälte der streitenden Parteien gelesen. Nicht einmal, nein dreimal und habe immer noch nicht alles begriffen. Aber ich habe auch nicht Jura studiert. Das zu den „Fachsprachen“, die für die fachlich Ungebildeten eine nahezu unüberwindbare Barriere darstellen können. Das „Amtsdeutsch“ ist überwiegend von Juristen geprägt.

    1. Es ist völlig normal dass man im Beruf den dort vorherrschenden „Dialekt“ übernimmt. Bitten Sie mal jemanden der in einem Internationalen Unternehmen arbeitet Ihnen davon zu berichten was er in der letzten Woche so getrieben hat – Sie werden automatisch eine Menge Englisch zu hören bekommen. NIcht weil Englisch cool ist oder sich Ihr gegenüber damit wichtig machen will, sondern weil die englischen Vokabeln mit einer ganz konkreten Tätigkeit verbunden sind, während ihre deutschen Übersetzungen unspezifischer sind.

  2. Ich möchte nicht in einer Gemeinde leben, in der die Rathausmitarbeiter nicht die Sprache „ihrer“ Bürger sprechen für die sie arbeiten. So gut ich auch die Forderung finde, Sachverhalte in „einfacher Sprache“ zu beschreiben (was eine Selbstverständlichkeit sein sollte), wünsche ich mir sehr, dass sich der Finanzausschuss hier gegen die Bereitstellung von Finanzmitteln für entsprechende „Fortbildungskurse“ ausspricht. Ich denke bei der finanziellen Situation unserer Gemeinde muss man sich so einen Luxus nicht leisten.

    Vielleicht hilft es ja schon, wenn sich die betreffenden Rathausmitarbeiter einfach bei der Formulierung etwas mehr Mühe geben um empfängerorientierte Dokumente zu verfassen. Und wenn es doch beim ersten Mal nicht so richtig gut funktioniert, dann vielleicht beim zweiten oder dritten Mal. Vielleicht kann der direkte Vorgesetzte da auch einfach mal etwas unterstützen.

    Lieber Leser dieses Kommentars:
    Sollte ich mich irgendwie missverständlich ausgedrückt haben bitte um einen kurzen Hinweis. Ich würde mich dann an einem besseren und verständlicheren Text versuchen. Ganz ohne externe Weiterbildung – so, wie man es einfach im echten Leben so macht (vor allem dann, wenn es um das eigene Geld geht)

  3. Das Coaching der Mitarbeiter ist in erfolgreich agierenden Unternehmen ein Standardprogramm. – Dabei hat kundenorientiertes Verhalten oberste Priorität.

    Der erste Schritt wäre zunächst, dass geprüft wird, ob unsere Verwaltung bürgerorientiert arbeitet. Denn, man kann eine bürokratische Arbeitsweise, Vorschriften-/Paragraphen-Reiterei noch so gut erklären, der Bürger (Kunde) wird es dennoch nicht verstehen.

    Hier noch einmal das Leitbild unserer Gemeinde:

    Unsere Verwaltung ist bürgernah
    Unsere Verwaltung setzt sich für die Menschen in der Gemeinde ein. Sie handelt in offener und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Gemeindevertretung und deren Ausschüsse. Dem Gemeinwohl verpflichtet, erfüllt sie nicht nur die gesetzlichen Auflagen, sondern erbringt vielfältige Dienstleistungen. Sie
    – erledigt alle Aufgaben kompetent, zuverlässig und effizient.
    – hilft freundlich und zuvorkommend.
    – ist ein verlässlicher und leistungdsfähiger Partner für alle Menschen und
    – sucht das ständige Gespräch mit ihnen.

  4. Ich finde das vernünftig! Und selbstverständlich benötigt es Schulungen, denn wenn „Amtsdeutsch“ für einen etwas völlig normales ist, was man jeden Tag verwendet, dann ist es sehr wohl schwierig, das in ein Deutsch zu „übersetzen“, in dem einem erheblich weniger Worte zur Verfügung stehen.

    1. ich wußte gar nicht, das Amtsdeutsch mehr Worte hat als normal Deutsch….
      dann reden also alle Verwaltungsangestellten und Beamte zu Hause nur Amtsdeutsch?
      ich stell mir das gerade bildlich vor:
      Liebling, nach § 1579 Nr. 7 BGB müssen wir wieder tätig werden 🙂

      1. Herr Witte, wie die meisten anderen haben auch Sie anscheinend weder den Artikel aufmerksam gelesen noch die Links von Frau Iwersen und Herrn Kunde angeguckt. Es geht sehr wohl um ein Deutsch, das mit weniger Wörtern auskommt.

  5. Siehe obiges Bild „Auszug aus…“ „…Fachleute für einfache Sprache werden hinzugezogen…“ Herrlich! Ick halt et im Kopp nich aus!

  6. Dafür noch Zeit opfern – in den regulären Öffnungszeiten – und obendrein Geld, das man sinnvoller ausgeben kann – Blödsinn. Wie wäre es denn einmal mit normalem Denken, daß man in der Schule gelernt hat ? Als Übersetzer kann man ja die Familie zu Hause fragen – oder wird dort abends auf dem Fernsehrsofa auch nur amtsdeutsch miteinander geredet ?
    Noch besser wäre ein Praktikum in einem Unternehmen – das hiflt dabei sicherlich – oder einmal mit den Leuten auf dem Markt reden oder in den Geschäften. Wer im Verein ist, redet dort ja auch nicht „amtsdeutsch“.

  7. Eine sehr tolle Idee und längst überfällig!
    Aber mal ehrlich, wer Amtsdeutsch versteht, was er/sie ja extra lernen mußten, sollte auch in der Lage sein, es in Volksdeutsch zu übersetzen(erklären).
    Eine Schulung, die auch noch Geld kostet, halte ich für lächerlich.
    Jeder, der meint, das er eine Schulung braucht, kann sie bei mir kostenlos bekommen!

  8. Moin auch, wo kommen denn die Fachleute her? Kann man sich noch als “ Übersetzer“ bewerben und wie sind denn die Aufstiegsmöglichkeiten?
    Alles in allem ein lobenswerter Vorschlag, denn es stimmt schon, verstehe einer “ Amtsdeutsch“ ich würde ja einfach mit den Damen und Herren auf die Straße gehen,ist günstiger und Bürger nah ! Ich hau mich mich wääääch :-))))

    1. Genau, einfach mal auf die Straße gehen, und sich mit normalen Menschen „normal“ unterhalten … 😉

      Aber der Amtsschimmel hat eigentlich schon recht, wenn er sich hinter seiner Amtssprache versteckt: wenn jeder Bürger verstehen würde, was in den Ulzburger Amtsstuben so passiert, würde der anschliessende Shitstorm womöglich das ganze Rathaus lahmlegen. 😉

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